Im Rahmen eines historischen Rückblicks veröffentlichen wir einen Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 10.07.1996 – 608 Qs 24/96 über das erfolgreichste Schneeballsystem, welches jemals in Europa durchgeführt wurde.

Zum Sachverhalt:
Der Beschuldigte ist Geschäftsführer der S-GmbH, durch die die Gesellschaft bürgerlichen Rechts „Titan-Marketing-Gesellschaft“ (im folgenden: „Titan“) verwaltet wird. Im Zusammenspiel beider Gesellschaften werden Personen für ein sogenanntes Gewinnsystem „Titan“ geworben. Hierfür werden spezielle Veranstaltungen der S-GmbH für die „Titan“ durchgeführt. Ein Beitritt zur „Titan“ und damit die Teilnahme am „Gewinnsystem“ ist gegen Zahlung von 5500 DM möglich. Gesellschaftszweck ist die Anwerbung möglichst vieler Personen. Wenn der Gesellschafter in der Folgezeit „Gäste“ zu den Veranstaltungen mitbringt, die als weitere Gesellschafter der „Titan“ beitreten, erhält er einen Betrag von jeweils 1000 DM. Nach der Anwerbung von insgesamt zwei Personen wird der bis dahin „Einzelhändler“ genannte Gesellschafter „Großhändler“ und erhält für jede weitere angeworbene Person einen weiteren Betrag von 1700 DM. Diesen Betrag erhält er als Großhändler auch für die jeweils ersten beiden Personen, die ein von ihm zugeführter Gesellschafter anwirbt, bevor dieser seinerseits „Großhändler“ wird. Zu dem gegen den Beschuldigten geführten Ermittlungsverfahren wies das AG Durchsuchungsanträge der StA zurück.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der StA hatte Erfolg.
Aus den Gründen:
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Es ist zu vermuten, daß in den Räumlichkeiten bzw. bei der Person/Gesellschaft oder ihren Sachen Beweismittel bzw. Anhaltspunke für Beweismittel gefunden werden, die im Zusammenhang mit einer Straftat gem. § 6c UWG stehen. Es besteht der Verdacht, daß der Beschuldigte durch eigenes Handeln und die Tätigkeit der oben unter b und c genannten Personen gegen das strafbewehrte Verbot nach § 6c S. 1 UWG (Progressive Kundenwerbung, „Schneeballsystem“) verstößt.
Nach § 6c S. 1 UWG wird bestraft, wer es im geschäftlichen Verkehr selbst oder durch andere unternimmt, Nichtkaufleute zur Abnahme von Waren, gewerblichen Leistungen oder Rechten durch das Versprechen zu veranlassen, ihnen besondere Vorteile für den Fall zu gewähren, daß sie andere zum Abschluß gleichartiger Geschäfte veranlassen, denen ihrerseits nach der Art dieser Werbung derartige Vorteile für eine entsprechende Werbung weiterer Abnehmer gewährt werden soll.
1. Die aus der Aktenlage erkennbare Tätigkeit des Beschuldigten ist als Handeln „im geschäftlichen Verkehr“ zu qualifizieren. Unter diesen Begriff fällt jede selbständige, einen beliebigen Geschäftszweck verfolgende Tätigkeit, in der eine Teilnahme am Erwerbsleben zum Ausdruck kommt (vgl. BayObLG, NJW 1990, 1862 m.w. Nachw.; Fuhrmann, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtl. NebenG § 6c UWG Anm. 3a). Als Geschäftsführer der S-GmbH hat der Beschuldigte es übernommen, die „Titan“ zu verwalten. Die Verwaltung umfaßt die gesamte Durchführung des „Gewinnsystems“, nämlich Organisation der Werbeveranstaltungen, d.h. Auswahl und Anmietung der Veranstaltungsräume, Bewirtung der Teilnehmer, Beschaffung und Einsatz geeigneter Musik, Bestellung der Redner, die z.B. als sogenannte Marketing Manager freie Mitarbeiter der S-GmbH sind und der für die Präsentation erforderlichen Ausrüstung, Fertigung und Verteilung der Formulare für die Schweigeverpflichtung, Ãœberwachung der Abgabe von Schweigeverpflichtungen der erstmaligen Veranstaltungsteilnehmer, Darstellung des „Titan-Gewinnsystems“ und Abgabe des Versprechens über die zu erwartenden Vorteile sowie Bereitstellung und Verteilung der von der S-GmbH gefertigten „Aufnahme-Anträge“. Die S-GmbH-Mitarbeiter nehmen die ausgefüllten „Aufnahme-Anträge“ an, führen persönliche Aufnahmegespräche und geben die Annahmeerklärung für die „Titan“ ab, nehmen die „Beiträge“ neuer Gesellschafter der „Titan“ entgegen und verteilen bzw. zahlen Teilbeträge aus. Die Mitarbeiter der S-GmbH aktualisieren weiterhin das System, erfassen die „Mitglieder“ genannten Gesellschafter der „Titan“ (vgl. zur Terminologie den „Aufnahme-Antrag“) mit ihrem jeweiligen Status, vergeben die Gesellschafter- bzw. Mitgliedsnummern (vgl. die ausgefüllten „Aufnahme-Anträge“), überwachen die Funktion des Systems und geben für die S-GmbH das „Titan Journal“ heraus. Diese Leistungen werden gegen Entgelt erbracht. Für jeden beigetretenen Gesellschafter erhält die S-GmbH 2800 DM. Von dem „Beitrag“ eines Gesellschafters in Höhe von 5500 DM werden 1000 DM und 1700 DM an die sogenannten Einzelhändler bzw. Großhändler gezahlt und den restlichen Betrag von 2800 DM behält die S-GmbH als Vergütung ihrer Verwaltungsleistung. Mit diesem Geld bezahlt die S-GmbH ihre (freien) Mitarbeiter, insgesamt 2100 DM, so daß der Restbetrag von 700 DM der S-GmbH selbst verbleibt. Damit ist die Tätigkeit der S-GmbH und mithin des Beschuldigten darauf gerichtet und dafür geeignet, eine auf längere Zeit angelegte Erwerbsquelle zu schaffen und zu sichern.
2. Die angeworbene Person wird durch die anwerbende S-GmbH zur Abnahme von Rechten und gewerblichen Leistungen veranlaßt, denn durch ihren Beitritt wird sie Gesellschafter der „Titan“ und erwirbt Ansprüche gegen sie.
Die 3. Kammer für Handelssachen des LG Osnabrück (Urt. v. 18. 3. 1996 – 3 HS 8/95) hat für ein ähnliches „Gewinnsystem Life“ die Auffassung vertreten, es läge keine Abnahme von Waren, Rechten oder gewerblichen Leistungen i.S. des § 6c S. 1 UWG vor. Der Teilnehmer erwerbe gegen Zahlung seines Beitrags eine Gewinnchance, die zugleich den für Neuwerbungen versprochenen Vorteil darstelle. Die Gewinnchance sei auch identisch mit der Teilnahmeberechtigung als abgenommener Leistung, weil ihr wirtschaftlicher Wert faktisch nur in der Gewinnchance bestehe. Dies gelte auch für weiterhin angebotene Informationsveranstaltungen, in welchen Teilnehmern des „Gewinnspiels“ Möglichkeiten zur effektiven Werbung neuer Teilnehmer aufgezeigt werden sollen (S. 5 des Urt. unter Bezugnahme auf BayObLG, das den Fall des zentral gesteuerten Kettenbriefes „Easy“ zu entscheiden hatte).
Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Grundsätzlich sind Mitgliedschaftsrechte und damit bereits die Gesellschafterstellung Rechte i.S. des § 6c S. 1 UWG, soweit sie vermögenswert und wirtschaftlich verwertbar sind (Fuhrmann, in: Erbs/Kohlhaas, § 6c UWG Anm. 3b; Richter, wistra 1990, 276 (277)).
Für den Wert der Gesellschafterstellung hat allerdings der Anspruch des Gesellschafters auf Zahlung von jeweils 1000 DM (als Einzelhändler) bzw. 1700 DM (als Großhändler) oder 2700 DM (als Einzel- und Großhändler zugleich), der durch die Zuführung der jeweils beitretenden neuen Mitglieder bedingt ist, außer Betracht zu bleiben. Denn die Auszahlung dieser Beträge stellen den besonderen Vorteil i.S. des § 6c S. 1 UWG dar, der dem Gesellschafter für den Fall der Anwerbung neuer Mitglieder (dem Bedingungseintritt) versprochen werden. Besonderer Vorteil und abgenommene Ware, Leistung oder Recht können im Rahmen des § 6c S. 1 UWG nicht identisch sein (Fuhrmann, in: Erbs/Kohlhaas, § 6c UWG Anm. 3c; BayObLG, NJW 1990, 1862).
Der Gesellschafter hat aber über den bedingten Anspruch hinaus einen unbedingten Anspruch auf Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Anwerbung neuer Mitglieder. Der Gesellschafter erwirbt den Anspruch auf diese Leistungen und ist dadurch Abnehmer i.S. des § 6c S. 1 UWG (vgl. Fuhrmann, in: Erbs/Kohlhaas, § 6c UWG Anm. 3b), wobei es nicht darauf ankommt, ob der Gesellschafter diesen Anspruch direkt gegenüber der S-GmbH hat oder gegen die „Titan“, die sich zur Erfüllung der S-GmbH bedient. Der Gesellschafter erwirbt das
LG Hamburg: Progressive Kundenwerbung „Schneeballsystem“ NStZ-RR 1997 Heft 2 58

Recht, an den von der S-GmbH organisierten und durchgeführten (Werbe-) Veranstaltungen der „Titan“ einmal wöchentlich teilzunehmen und jeweils maximal zwei „Gäste“ mitzubringen. Mit der Organisation und Durchführung der Veranstaltungen und des „Gewinnspiels“ sowie dessen Kontrolle erbringt die S-GmbH gewerbliche Leistungen i.S. von § 6c S. 1 UWG. Die Leistungen haben nicht nur einen Preis – auf sie entfällt ein Anteil des „Beitrags“ des Gesellschafters in Höhe von 2800 DM -, sondern auch einen eigenen Vermögenswert. Zwar realisiert sich der Wert dieser Leistungen für den Gesellschafter nur im Zusammenhang mit seinem bedingten Anspruch auf die „Werbeprämie“. Einen über die bloße Gewährung dieses bedingten Anspruchs hinausgehenden Wert hat die Gesellschafterstellung aber auch deswegen, weil sie dem Gesellschafter die für den Bedingungseintritt erforderliche „Werbung“ zu einem großen Teil abnimmt und seine Rolle im wesentlichen darin besteht, den Werbeveranstaltungen und damit den freien Mitarbeitern der S-GmbH potentielle Mitglieder als „Gäste“ ohne jede rechtliche Verbindlichkeit zuzuführen. Erst durch die Organisations- und Veranstaltungsleistungen wird dem Gesellschafter die Möglichkeit, neue Mitglieder zu werben (die „Gewinnchance“) geschaffen oder doch deutlich erhöht, wie die Schilderung der Geschädigten K anschaulich belegt. Die Kontrolleistungen (einschließlich der vertragsstrafbewehrten Schweigeverpflichtungen) erhöhen schließlich die Chance, daß das Schneeballsystem in Gang gehalten wird und damit die Möglichkeit des Bedingungseintritts erhalten bleibt.
Die vom BayObLG für die Verwaltungsleistungen einer zentral gesteuerten Kettenbriefaktion angestellten Erwägungen, die das LG Osnabrück auf „Gewinnspiele“ wie dem vorliegenden übernommen hat, stehen dem Ergebnis nicht entgegen. Wegen der Unterschiede beider „Gewinnsysteme“ lassen sich die Erwägungen nicht auf das „Gewinnspiel Titan“ übertragen. Daß die „Mitgliedschaft“ in der „Titan“ und insbesondere die für sie organisierten Veranstaltungen eine eigenständige Bedeutung haben, zeigt sich nicht nur an ihrem Ablauf (Musik, Bewirtung, Showcharakter), sondern auch in dem in der Anlage der Akte befindlichen „Titan-Journal“, das anhand von Veranstaltungen und exemplarischen Lebensläufen die Gesellschafterstellung bei „Titan“ idealisiert. Schließlich ist von dem „Beitrag“ des Teilnehmers eine nicht unbeträchtliche Summe von 2800 DM und damit über die Hälfte für die gewerblichen Leistungen der S-GmbH bestimmt, während bei einer (zentral gesteuerten) Kettenbriefaktion regelmäßig sowohl im absoluten Betrag als auch im Verhältnis zum Gesamtbeitrag deutlich weniger für den Veranstalter bestimmt ist, so Beträge von z.B. 40 DM (so bei „Easy“) oder 50 DM („Top 12“, OLG Stuttgart, Urt. v. 22. 3. 1991 – 2 Ss 127/91), die jeweils nicht mehr als ein Viertel des Einsatzes ausmachen.
Soweit die angeführten Entscheidungen in dem Sinne zu verstehen sein sollten, daß die abzunehmenden Leistungen einen von dem versprochenen Vorteil völlig unabhängigen Wert haben müssen, kann ihnen nicht gefolgt werden, weil sie dadurch den Regelungsgehalt des § 6c UWG entgegen seinem Wortlaut und seinem Sinn und Zweck unzulässig einengen würden. Es genügt, wenn die Leistungen eine konkrete und eigenständige Unterstützung des „Teilnehmers“ sind, die ihm wesentlich helfen, den versprochenen Vorteil auch tatsächlich zu erlangen.
3. Im vorliegenden Fall des „Gewinnsystems Titan“ wird dem Gesellschafter die Gewährung besonderer Vorteile in Form von Zahlungen von 1000 DM und 1700 DM für ihn als „Einzelhändler“ bzw. „Großhändler“ versprochen, wenn er nach seinem Beitritt andere anwirbt. Es handelt sich dabei um einen „besonderen“ Vorteil. Besondere Vorteile sind alle unentgeltlichen Leistungen, auf die der Empfänger keinen gesetzlichen Anspruch hat und die ihn besser stellen (Fuhrmann, § 6c UWG Anm. 3c). Der Zusatz „besondere“ im Gesetzestext will den Vorteilsbegriff auf die Zuwendungen beschränken, die geeignet sind, die typische Dynamik eines Systems der progressiven Werbung in Gang zu setzen und bloß belanglose und geringwertige Vorteile – wie sie hier mit den vierstelligen DM-Beträgen nicht vorliegen – ausschließen (Fuhrmann, § 6c UWG Anm. 3c). Die Zahlungen sind auch Vorteile, die dem Gesellschafter gerade durch die „Titan“ gewährt werden, denn die neuen Mitglieder zahlen ihren „Beitrag“ außerhalb der eigentlichen, am Wochenende stattfindenden Werbeveranstaltung am nachfolgenden Montag bei der „Titan“ bzw. dem Mitarbeiter der S-GmbH ein. Die S-GmbH läßt sodann die dem Gesellschafter versprochenen Auszahlungen vornehmen.
Die S-GmbH bzw. ihr Mitarbeiter können nicht als bloße Boten bezeichnet werden (so aber OLG Stuttgart, Urt. v. 22. 3. 1991 – 2 Ss 127/91 für das dort zugrundeliegende „Gewinnspiel“), weil zum einen in dem „Aufnahme-Antrag“ für neue Mitglieder zwar die Namen der Personen genannt werden, die einen Teil des „Beitrages“ bekommen sollen, aber keine konkreten Beträge bestimmt werden. Zum anderen werden in der sogenannten „Auszahlungs-Anweisung“ die Empfänger regelmäßig nicht vollständig angegeben – die in den „Aufnahme-Anträgen“ aufgeführten „Einzel-“ und „Großhändler“ und „Marketing Manager“ und „Manager Direktoren“ erhalten zusammen nur 4800 DM des „Beitrags“ von 5500 DM; die Differenz von 700 DM erhält die S-GmbH ohne in der „Auszahlungs-Anweisung“ im „Aufnahme-Antrag“ genannt zu werden.
Eine Vorteilsgewährung i.S. des § 6c S. 1 UWG durch den Veranstalter wäre aber selbst dann gegeben, wenn der Teilbetrag vom Angeworbenen selbst bestimmt oder sogar von ihm selbst an denjenigen, der ihn angeworben hat und an den gegebenenfalls hinter diesem „Einzelhändler“ stehenden „Großhändler“ gezahlt würde. Die Zahlung des Teilbetrages an den Gesellschafter stellt sich nämlich als Leistung der „Titan“ dar und zwar unabhängig von der Ausgestaltung des Zahlungsweges. Es kommt nicht darauf an, ob das neue Mitglied als Angeworbener den Gesamtbetrag an die Gesellschaft zahlt und diese einen Teil davon an den „Einzel-“ bzw. „Großhändler“ auskehrt oder ob er selbst den Betrag in zwei bzw. drei Teilen an die Gesellschaft und den „Einzel-“ und „Großhändler“ zahlt. Seine Leistung insgesamt ist als nur eine gegenüber der Gesellschaft erbrachte Leistung anzusehen, während es sich bei dem Teilbetrag, den die „Einzel-“ und „Großhändler“ erhalten, auf jeden Fall um eine Leistung handelt, die die Gesellschaft ihnen gegenüber erbringt.
Als Leistung im rechtlichen Sinn wird allgemein jede auf bewußte und zweckgerichtete Vermögensmehrung zielende Zuwendung verstanden (vgl. Palandt, 54. Aufl., § 812 Rdnr. 3). Leistungszweck ist regelmäßig eine bestehende oder angenommene Leistungsbeziehung (Palandt, § 812 Rdnr. 4). Indem die S-GmbH dafür sorgt, daß dem Gesellschafter 1000 DM bzw. 1700 DM zukommen, erfüllt diese eine Verbindlichkeit, die die „Titan“ gegenüber ihren Gesellschaftern eingegangen ist. Auch wenn „Titan“ oder die S-GmbH mit dem neu zugeführten Mitglied als insoweit Dritten vereinbaren sollte, daß dieser an den Gesellschafter als „Einzelhändler“ und/oder den „Großhändler“ direkt zahlt – im sogenannten Deckungsverhältnis -, sind die Zahlungen Leistungen, die die „Titan“ an ihre Gesellschafter – im sogenannten Valuta- oder Zuwendungsverhältnis – erbringt, nicht aber eine Leistung des neu zugeführten Mitgliedes an den Gesellschafter (vgl. zu den Leistungen in sogenannten Dreipersonenverhältnissen Palandt, § 812 Rdnrn. 49ff). Zwischen diesen beiden besteht keine vertragliche Rechtsbeziehung. Der Angeworbene ist von dem Gesellschafter ohne rechtliche Verbindlichkeit als sogenannter „Gast“ der Werbeveranstaltung des Veranstalters zugeführt worden. Aufgrund der vom „Gastgeber“ abgegebenen Schweigeverpflichtung erfährt der „Gast“ von ihm nicht einmal, um was es bei der Veranstaltung eigentlich geht, zu der er eingeladen ist. Alle weiteren Werbemaßnahmen und Versprechungen erfolgen durch die S-GmbH (bzw. ihren freien Mitarbeitern) als Verwalterin der „Titan“. Mit einem zugleich begünstigten „Großhändler“ besteht gar keine Beziehung.
Der „Gast“ verfolgt mit seiner Zahlung – im Gegensatz zur „Titan“ – keinen Leistungszweck gegenüber dem „gastgebenden“ Gesellschafter oder einem weiteren „Großhändler“. Ihm kann es letztlich gleichgültig sein, wer das von ihm gezahlte Geld bekommt. Er bezweckt mit seiner Zahlung lediglich, eine Verbindlichkeit gegenüber der „Titan“ zu erfüllen, denn er beantragt ausdrücklich „die Aufnahme bei der Titan-Marketing-Gesellschaft für den einmaligen Beitrag von 5500 DM“, um damit einen eigenen bedingten Anspruch auf zukünftige Anwerbeprämien und die Werbe-, Organisations- und Kontrolleistungen zu erlangen, die die S-GmbH für die „Titan“ erbringt. Ein Rechtsverhältnis entsteht demnach nicht zum „Gastgeber“ oder einen weiteren „Großhändler“, sondern zur „Titan“ oder allenfalls noch gegenüber der S-GmbH.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der im „Aufnahme-Antrag“ enthaltenen „Auszahlungs-Anweisung“, selbst wenn dort „Einzel-“ und „Großhändler“ als Zahlungsempfänger genannt werden. Wegen der fehlenden Bestimmung des Zahlungsbetrages und insbesondere des vorangegangen dargelegten Fehlens eines Leistungszwecks zwischen Beitretendem und „Gastgeber“ bzw. „Großhändler“ ergibt die Auslegung des „Aufnahme-Antrages“, daß keine Anweisung im Rechtssinn vorliegt, die der Beitretende gegenüber dem „Titan-„Verwalter S-GmbH erteilt (Valutaverhältnis). Mangels eines Deckungsverhältnisses würde mit der Ausführung einer Anweisung eine rechtsgrundlose Leistung erbracht werden. Der „Aufnahme-Antrag“ und damit die „Auszahlungsanweisung“ ist von der S-GmbH vorformuliert und der Vereinbarungsinhalt geht über die bloße Benennung der Personen, die gegenüber der „Titan“ (bezüglich ihrer „Einzel-“ und „Großhändler“) und der S-GmbH (bezüglich ihrer freien Mitarbeiter) aufgrund des Bedingungseintritts „Beitragszahlung“ Ansprüche haben, nicht hinaus. Da die neuen Mitglieder mangels entsprechender Vereinbarung keinen Anspruch auf Auszahlung bestimmter Beträge an andere Gesellschafter haben, verlieren sie mit der Zahlung jede Verfügungsmacht über das Geld, die stattdessen die „Titan“ bzw. für sie ihre Verwalterin S-GmbH erlangt und durch ihre Manager ausüben läßt – anders als der Rechtsanwalt der S-GmbH meint.
LG Hamburg: Progressive Kundenwerbung „Schneeballsystem“ NStZ-RR 1997 Heft 2 59

Der Feststellung, der Veranstalter verspreche dem „Gast“ die Gewährung eines Vorteils, steht nicht entgegen, daß das nach seinem Beitritt von seinen „Gästen“ zu zahlende Geld letztlich von diesen und nicht vom Veranstalter stammt. Dabei kann dahinstehen, ob das Versprechen der zukünftigen Gewährung eines besonderen Vorteils auch dann gegeben ist, wenn der Vorteil nicht aus dem eigenen Vermögen des Veranstalters erbracht wird (bejahend Fuhrmann, in: Erbs/Kohlhaas, § 6c UWG Anm. 3c, der diese Behauptung m.w. Nachw. als streitig bezeichnet). Wie gezeigt, hat die „Titan“ einen Anspruch auf Zahlung des „Beitrags“ von 5500 DM gegen den Beitretenden. Die Zahlung eines Teilbetrags an den „Einzel-“ oder „Großhändler“ geht zu Lasten ihres Vermögens, weil sie insoweit Zahlungen leisten oder zumindest veranlassen muß und damit ihr Vermögen bzw. ihre Ansprüche mindert. Es wird nicht verkannt, daß trotz dieser rechtlichen Ausgestaltung wirtschaftlich das neue Mitglied letztlich auch die Zahlungen der „Werbeprämien“ trägt. Jedes gewerbliche und damit auf Gewinn zielende Unternehmen kann aber schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen Provisionen oder ähnliche Vorteile gegenüber einer für sie werbenden Person grundsätzlich nur versprechen und gewähren, wenn es den Vorteil der von dem Angeworbenen direkt oder mittelbar erbrachten Leistung entnimmt, wirtschaftlich also der geworbene Kunde mit der Provision belastet wird. Für Schneeballsysteme und progressive Kundenwerbung gilt dies im besonderen Maße. Auch aus diesem Grund kann es für die Frage, ob das Unternehmen einen Vorteil gewährt, nicht darauf ankommen, aus wessen Vermögen der Vorteil stammt und wer ihn übermittelt, sondern nur darauf, wer insoweit die Disposition trifft (vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 22. 3. 1991 – 2 Ss 127/91, das allerdings Botenschaft bejaht).
4. Der Beschuldigte ist auch als Täter einer Straftat nach § 6c S. 1 UWG verdächtig. Da nach dem Gesetz nicht nur der Veranstalter Täter ist, sondern jeder, der sich an der Tathandlung beteiligt (Fuhrmann, in: Erbs/Kohlhaas, § 6c UWG Rdnr. 2), kann dahinstehen, ob der Beschuldigte als Veranstalter anzusehen ist. Es genügt, daß er als Geschäftsführer der S-GmbH die „Titan“ verwaltet und durch die (freien) Mitarbeiter die Werbeveranstaltungen durchführen läßt.