Das versprochene Reformpaket – wie Delaware HB 162 das Multilevel‑Marketing verändern sollte
Als das Repräsentantenhaus von Delaware am 18. Juni 2025 die House Substitute 1 for HB 162 verabschiedete, standen Transparenz und Verbraucherschutz im Zentrum der geplanten Neuregelung. Multilevel‑Marketing‑Unternehmen (MLM) sollten jedem Interessenten spätestens 48 Stunden vor Vertragsunterzeichnung ein detailliertes Informationsblatt aushändigen. Darin mussten der vollständige Vergütungsplan, Median‑ und Durchschnittsverdienste, die Quote der wirtschaftlich erfolgreichen Teilnehmer sowie Umfang und Dauer angebotener Schulungen offengelegt werden. Ergänzend sah der Entwurf ein dreimonatiges Widerrufsrecht ohne Begründungspflicht und eine Rückkaufgarantie von mindestens neunzig Prozent für unverkaufte, wiederverkäufliche Ware vor. Verbote nicht belegbarer Einkommensaussagen, verpflichtender Wareneinkäufe ohne Rückkaufoption und Einstiegsgebühren ohne Rücktrittsrecht rundeten das Paket ab. Für die Branche hätte das umfassende Vertrags‑ und Prozessanpassungen bedeutet; für Vertriebspartner mehr Rechtssicherheit und kalkulierbare Risiken.
Politische Realität – Lobbydruck und Zeitmangel bremsen das Gesetzesvorhaben aus
Am Abend des 26. Juni 2025 meldete die Direct Selling Association (DSA), dass HB 162 den federführenden Ausschuss des Senats nicht mehr rechtzeitig verlassen werde. Da die Legislaturperiode Delawares am 30. Juni endet, wurde das Verfahren auf die kommende Sitzungsperiode vertagt; ein Inkrafttreten im Jahr 2025 ist damit ausgeschlossen.
Der Stopp bedeutet keine endgültige Ablehnung, sondern folgt einem in US‑Bundesstaaten üblichen Ablauf, wenn Konsens oder Zeit fehlen. Laut DSA war die Verzögerung das Ergebnis intensiver Gespräche von Direktvertriebsverbänden und selbständigen Verkäufern mit Abgeordneten. Kritisiert wurden unklare Definitionen im Entwurf sowie ein Anwendungsbereich, der auch kleinere, legitime Geschäftsmodelle erfassen könnte.
Rechtliche und wirtschaftliche Folgen für MLM‑Unternehmen und Vertriebspartner
Kurzfristig ändert sich für die Branche wenig. Ohne Senatsbeschluss und Gouverneursunterschrift treten weder neue Offenlegungspflichten noch die vorgesehene Rückkauf‑ und Widerrufsregelung in Kraft. Der bisherige Rechtsrahmen in Delaware bleibt bestehen; unmittelbare Compliance‑Kosten entfallen.
Gleichzeitig zeigt die Debatte, dass strenge Transparenz‑ und Verbraucherschutzstandards politisch gewollt sind. Das Repräsentantenhaus hat mit seiner Zustimmung bereits ein klares Signal gesetzt. Beobachter rechnen damit, dass die Diskussion spätestens zu Beginn der neuen Sitzungsperiode im Januar 2026 wieder aufgenommen wird.
Obwohl keine sofortige Pflicht besteht, empfiehlt sich eine frühzeitige Anpassung an die Kernforderungen des Entwurfs. Unternehmen, die schon jetzt ein strukturiertes Risiko‑ und Einkommens‑Sheet bereitstellen, realistische Verdienstangaben machen, ein dreimonatiges Widerrufsrecht verankern und eine faire Rückkaufpraxis anbieten, minimieren künftige Umstellungskosten und stärken ihr Image. Außerdem setzen sie ein Zeichen Richtung Gesetzgeber, dass verantwortungsvolles Network‑Marketing ohne Zwang funktionieren kann.
Ausblick 2026 – steht die strenge Network‑Marketing‑Regulierung doch noch bevor?
Delaware HB 162 hat deutlich gemacht, wohin die Reise für MLM‑Compliance gehen kann: mehr Transparenz, stärkere Rücktrittsrechte und eine schärfere Haftung für irreführende Vertriebspraktiken. Der vorläufige Stopp verschafft der Branche Zeit, ersetzt aber nicht die Notwendigkeit, Prozesse und Verträge an ein höheres Verbraucherschutzniveau auszurichten. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein nur leicht modifizierter Entwurf 2026 erneut auf der Agenda steht, gilt als hoch. Unternehmen, die heute freiwillig handeln, positionieren sich als Vorreiter und reduzieren ihr Risiko, wenn die Regulierung – voraussichtlich in verschärfter Form – doch noch Realität wird.
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Hintergrund des Urteils (Az. III ZR 137/24): Haftung juristischer Personen bei betrügerischen Schneeballsystemen
Am 6. März 2025 fällte der Bundesgerichtshof (BGH) ein neues Urteil (Az. III ZR 137/24) zur Haftung juristischer Personen bei betrügerischen Schneeballsystemen. Der BGH bestätigt in diesem, dass eine Gesellschaft für Schadensersatz haftet, wenn ihr Organ in mehreren Rollen handelt. Auch die Zurechnungshaftung nach § 31 BGB bei paralleler Organstellung in mehreren Firmen wird wesentlich gestärkt.
Streitgegenstand: Lebensversicherungs‑Ankäufe als Fassade für ein Schneeballsystem
Im Zentrum des Falles stand eine Unternehmensgruppe, die unter dem Deckmantel des Ankaufs von Lebensversicherungen Anlegergelder einsammelte. Das Brisante dabei: Einer der Unternehmer fungierte in mehreren Gesellschaften als Vorstand bzw. Geschäftsführer und nutzte diese Positionen, um Anleger gezielt zu täuschen.
Bereits ab 2007 stellte das Unternehmen ihr eigentliches Geschäftsmodell ein, war aber weiterhin auf neues Kapital angewiesen. Die Zinszahlungen an Altanleger wurden zunehmend aus dem Geld neuer Investoren finanziert. Ein damit klassisches Schneeballsystem ohne wirksamen Vertriebsvertrag.
Die Gruppe bediente sich sogenannter Eigenverträge. Sie schloss als Versicherungsnehmerin Lebensversicherungen ab, vermittelte sie intern über die AG und löste intern Provisionen aus. Diese flossen bilanziell zurück, wodurch sie künstlich Gewinne erzeugten. Die vermeintliche wirtschaftliche Stärke der Gruppe stützte sich somit auf interne Zahlenspiele und war damit schlichtweg eine Täuschung, wie der BGH nun unmissverständlich feststellt.
Kernaussagen des Urteils: Zurechnungs‑ und Gesamtschuldnerhaftung nach § 31 und § 840 BGB
Ein Anleger, der 2011 Orderschuldverschreibungen in Höhe von 100.000 € erworben hatte, verlangte die Feststellung seines Schadens in Höhe von 95.011,53 € zur Insolvenztabelle. Seine Forderung richtete sich nicht gegen die betrügerische Hauptgesellschaft, sondern gegen die insolvente AG, vertreten durch ihren Insolvenzverwalter. Der Vorwurf: Aktive Beteiligung am System durch Vermittlung von Eigenverträgen mit dem Wissen und auf Anweisung des damaligen Vorstands.
Rechtsgrundlage ist der § 31 BGB, der hier als Zurechnungsnorm, jedoch nicht als Haftungsgrund, infrage kommt. Danach haften juristische Personen für unerlaubte Handlungen ihrer Organe, wenn diese in amtlicher Funktion handeln. Also im Rahmen dessen, wofür sie bestellt wurden.
Entscheidend ist nicht, ob das Organ nur für ein Unternehmen tätig war, sondern ob die schädigende Handlung dem jeweiligen Wirkungskreis des Unternehmens zugeordnet werden kann. In diesem Fall bedeutet das: Wer betrügerische Handlungen durch ein konzernübergreifendes Organ geschehen lässt, kann nach § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner konzernübergreifend haften. So wie der BGH auch entschied.
Gesetzestext: § 31 BGB – Haftung des Vereins für Organe
„Der Verein ist für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.“
Straf‑ und zivilrechtliche Relevanz: Betrug, Kapitalanlagebetrug und sittenwidrige Schädigung
Das Gericht bejahte zudem die Voraussetzungen für Betrug (§ 263 StGB), Kapitalanlagebetrug (§ 264a StGB) sowie eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung (§ 826 BGB). Die maßgeblichen Entscheidungen zur Investition des Klägers basierten auf Prospekten, die ein unzutreffendes Bild der wirtschaftlichen Lage zeichneten. Der tatsächliche Geschäftsbetrieb, basierend auf einem undurchsichtigen Provisionskarussell und einem zusammenbrechenden Finanzmodell, wurde verschleiert.
Dazu kommt, dass die Mitwirkung der AG kein bloßes Unterlassen oder ein neutrales Verhalten waren, sondern ein aktiver Beitrag zur Täuschung. Genau das reicht für eine zivilrechtliche Haftung aus, selbst wenn die AG nicht direkt mit dem Kläger in Kontakt stand.
Fazit: Ausgeweitete Haftung von Konzerngesellschaften bei Schneeballsystemen
Das Urteil ist ein klares Statement: Wer ein Schneeballsystem über mehrere juristische Personen hinweg betreibt und dabei als Organ in unterschiedlichen Funktionen handelt, muss sich auf umfassende Haftungsfolgen für alle beteiligten Gesellschaften einstellen. Der BGH schafft damit Rechtsklarheit, wie § 31 BGB in komplexen Konzernstrukturen bei wirtschaftskriminellem Verhalten zu verstehen ist. Das macht eine sorgfältige Auswahl und Kontrolle von Leitungspersonen unverzichtbar.
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Auf europäischer Ebene trat im Mai 2022 die Verordnung (EU) 2022/720 in Kraft, welche gemeinhin Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (Vertikal-GVO) genannt wird. Hierdurch werden vertikale Vereinbarungen zwischen Unternehmen grundsätzlich erlaubt. Es gibt jedoch auch neue Regelungen, die nun explizit verboten sind. Am 1. Juni 2023 endet die relevante Übergangsfrist, sodass die neuen Verbote für sämtliche Verträge gelten. Das neue Vertriebskartellrecht betrifft also viele Online- & MLM-Unternehmen (MLM = Multi-Level-Marketing).
Was ist die Vertikal-GVO?
Die EU-Kommission hat am 10. Mai 2022 ihre Vertikal-GVO erlassen. Im Unterschied zu EU-Richtlinien, welche von den Mitgliedstaaten selbst in nationales Recht umgesetzt werden müssen, gelten Rechtsverordnungen unmittelbar. Die Vertikal-GVO ist also vom Zeitpunkt ihres Erlasses an für alle Mitgliedstaaten verbindlich.
Gekoppelt ist sie an Art. 101 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Hiernach sind bestimmte Vereinbarungen zwischen Unternehmen rechtswidrig, es können dann empfindliche Bußgelder drohen. Nach Art. 101 Abs. 3 AEUV kann die Kommission hiervon jedoch bestimmte Vereinbarungen oder Gruppen ausnehmen – diese sind dann also erlaubt.
Mit der neuen Vertikal-GVO macht die Kommission von genau diesem Recht Gebrauch. Art. 2 Abs. 1 der Verordnung legt fest, dass vertikale Vereinbarungen freigestellt sind, soweit sie vertikale Beschränkungen enthalten.
Vereinbarung, vertikal und Beschränkung: Wichtige Definitionen
Art. 1 Abs. 1 lit. a Vertikal-GVO definiert: „Vertikale Vereinbarung“ ist eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise zwischen zwei oder mehr Unternehmen, die für die Zwecke der Vereinbarung oder der abgestimmten Verhaltensweise jeweils auf einer anderen Stufe der Produktions- oder Vertriebskette tätig sind und die die Bedingungen betrifft, zu denen die beteiligten Unternehmen Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen dürfen.
Und in Art. 1 Abs. 1 lit. b Vertikal-GVO heißt es: „Vertikale Beschränkung“ ist eine Wettbewerbsbeschränkung in einer vertikalen Vereinbarung, die unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt.
Gekoppelt mit dem bereits erwähnten Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO bedeutet dies, dass Vereinbarungen, die von diesen Definitionen erfasst sind, grundsätzlich freigestellt werden, obwohl sie eigentlich wettbewerbsbeschränkend wären. Diese Anforderung kann schnell erfüllt sein – im Anschluss ist jedoch zu prüfen, ob bestimmte Ausnahmen von der Freistellung eingreifen.
Gefahr für den Online-Vertrieb
Die Vertikal-GVO stellt aber nicht jede vertikale Vereinbarung frei. Sie zählt bestimmte Vereinbarungen auf, die explizit verboten werden. Und einige davon betreffen Unternehmen, welche im Online-Vertrieb und MLM-Marketing tätig sind.
So zählt Art. 4 Vertikal-GVO bestimmte „Kernbeschränkungen“ auf, die verboten sind. Eine davon ist die Verhinderung der wirksamen Nutzung des Internets zum Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen durch den Abnehmer oder seine Kunden. Man darf auch nicht vereinbaren, dass Produkte nur in einem physischen Laden vertrieben werden dürfen. Oder dass Suchmaschinen, Preisvergleichsportale oder der eigene Online-Shop nicht benutzt werden dürfen. Aber es gibt unter gewissen Voraussetzungen, die Möglichkeiten gewissen Beschränkungen doch vertraglich zu gestalten.
Insbesondere sind aber nicht alle Einschränkungen des Online-Vertriebs direkt verboten. So sind Beschränkungen der Online-Werbung, die nicht darauf abzielen, die Nutzung eines ganzen Online-Werbekanals zu verhindern, weiterhin erlaubt.
Daher sind die Network Marketing Unternehmen gut beraten, ihre Vertriebspartnerverträge und AGB prüfen und überabreiten zu lassen. Dies gilt umso mehr, als die tägliche anwaltliche Praxis bei SBS Legal immer wieder aufzeigt, dass sehr viele MLM Unternehmen unzulässige und damit kartellrechtswidrige Klausel verwenden, ohne dass sie dies wissen. Ergänzend anzumerken ist, dass häufig auch in den Wettbewerbsverbotsklauseln und Tätigkeitspflichtklauseln Gesetzesverstöße auffallen, die sich nachteilig für diese Unternehmen der der Direktvertriebsbranche auswirken können.
Übergangsbestimmung ist bereits beendet
Die Vertikal-GVO trat am 1. Juni 2022 in Kraft. Vorher galt noch die VO Nr. 330/2010, also eine andere EU-Verordnung. Die Regelungsbereiche der beiden Verordnungen sind nicht deckungsgleich, es können also Vereinbarungen vorher freigestellt worden sein, die aber von der neuen Vertikal-GVO nicht mehr gedeckt sind.
Um den Übergang nicht zu scharf für alle Unternehmen zu gestalten, hat die Kommission daher mit Art. 10 Vertikal-GVO eine Übergangsbestimmung festgelegt. Bis zum 31.5.2023 verstießen solche Vereinbarungen noch nicht gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV, die vorher vom Bereich der VO Nr. 330/2010 gedeckt waren.
Seit dem 1. Juni 2023 gilt diese Übergangsbestimmung also nicht mehr. Dann stellt alles, was von dem Freistellungsbereich der Vertikal-GVO ausgeschlossen ist, eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung nach Art. 101 Abs. 1 AEUV dar. Es können hohe Bußgelder und teure Verfahren drohen, die unbedingt vermieden werden müssen.
Anpassung der Verträge – Auch für kleinere Unternehmen
Kartellrechtliche Verfahren mit Bußgeldern in Millionenhöhe erwecken manchmal den Eindruck, dass nur große Unternehmen hiervon betroffen sein können. Dies ist jedoch besonders bei der Vertikal-GVO nicht der Fall.
Denn vertikale Vereinbarungen, meist zwischen Herstellern und Lieferanten, können Kernbeschränkungen darstellen – unabhängig von der Größe der Unternehmen. Zwar gibt es in Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO eine Marktanteilsschwelle. Das bedeutet aber nicht, dass kleinere Unternehmen immer freigestellt wären, nur weil sie die Schwelle nicht erreichen.
SBS LEGAL empfiehlt Ihnen daher, in jedem Fall Ihre Verträge noch einmal zu überprüfen. Dies gilt umso mehr, als die Übergangsfrist nun ausgelaufen ist. Daher sollten alle MLM Unternehmen eine rechtliche Prüfung, auch von den Vereinbarungen, welche vor dem 31. Mai 2022 in Kraft getreten sind, in die Wege leiten. Solche Klauseln, die das neue Vertriebskartellrecht betreffen und somit auch Online-Unternehmen und Vertriebler einschränken, sollten vorab geprüft werden.
Ansonsten drohen Geldbußen
Zur Durchsetzung der kartellrechtlichen Vorschriften bedient sich die EU-Kommission Geldbußen. Dies ist in Art. 103 AEUV geregelt. Sie sollen Unternehmen sowohl bestrafen als auch vor weiteren Verstößen abschrecken.
Die Höhe der Geldbuße richtet sich danach, welchen Jahresumsatz ein Unternehmen durch die Zuwiderhandlung erwirtschaftet hat. Hierbei kann ein Betrag von bis zu 30% des Wertes festgelegt werden. Dabei darf sie 10% des Gesamtumsatzes des Unternehmens jedoch nicht übersteigen. In welche Höhe genau die Buße liegt, hängt von einer Vielzahl genauerer Faktoren im Einzelfall ab.
LG und KG Berlin entscheiden über einen Wettbewerbsverstoß
In seinem Urteil vom 18.12.2018 entschied das LG Berlin (16 O 49/18), dass ein unangekündigter Vertreterbesuch in der Privatwohnung eines Verbrauchers zur Unterbreitung eines Angebots eine unzumutbare Belästigung und damit einen Wettbewerbsverstoß darstelle. Über die Berufung entschied nun das KG Berlin 5. Zivilsenat (5 U 26/19) und korrigierte das vorhergehende Urteil. Wir geben Ihnen einen Überblick über die beiden Urteile und beantworten die Frage: Ist ein unangekündigter Haustürbesuch ein Wettbewerbsverstoß?
Wie sah der Haustürbesuch des Vertreters aus?
Ein Vertriebsmitarbeiter des beklagten Energieversorgungsunternehmens war unangekündigt in der Wohnung des Klägers aufgetaucht. Nach einem Gespräch mit dem Vertreter wechselte er zur Beklagten als Stromanbieter. Laut dem Kläger, habe der Vertriebsmitarbeiter behauptet von der Hausverwaltung als Stadtwerksmitarbeiter engagiert worden zu sein: Er sollte den Hausbewohnern das Angebot unterbreiten zu einem neuen Stromtarif zu wechseln. Der Kläger sah die Haustürwerbung, die ohne Zustimmung der aufgesuchten Person geschehe, als unzumutbare Belästigung gemäß § 7 Absatz 1 Satz 1 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) an. Im Gegensatz zu anderen Werbeformen wie der Telefonwerbung, wo man dem Gespräch durch einfaches Auflegen entgehen könne, sei dies bei der Haustürwerbung nicht der Fall.
Die Beklagte hielt dagegen, dass nach der BGH Rechtsprechung die Haustürwerbung als zulässig erachtet werde. Des Weiteren sehe sie in der Untersagung der Haustürwerbung einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit gemäß Artikel 12 Grundgesetz (GG).
LG Berlin: „Man kann dem Vertreter beim unangekündigten Haustürbesuch schlecht die Tür vor der Nase zuknallen!“
Das LG Berlin entschied, dass eine Werbemaßnahme belästigend sei, wenn der Werbende den Verbraucher dazu zwinge sich mit seinem Angebot auseinanderzusetzen und damit in seine Privatsphäre eingreife. Zudem müsse eine Interessenabwägung vollzogen werden, wo ebenfalls die Interessen der Werbedienstleister und der am Angebot interessierten Personen reinspielen. Abwägungskriterien wären die Eingriffsintensität in die Privatsphäre, ob ein schonendere Vorgehensweise möglich wäre, welche Ausweichmöglichkeiten der Verbraucher habe und die drohende Gefahr, dass sich solche Belästigungen von einem einzelnen Vorkommnis weiter steigern könnten. Anhand dieser Maßstäbe sei ein unangekündigter Haustürbesuch als belästigend einzustufen. Der Verbraucher müsste in jedem Fall seinen Tag unterbrechen, um den Vertreter an der Tür zu empfangen, was Personen mit körperlichen Behinderungen besonders schwer fiele. Das Abwimmeln über die Gegensprechanlage sei auch nicht bei jedem Haustyp möglich oder der Vertreter würde sich fälschlicherweise mit der Bezeichnung „Post“ Zutritt verschaffen. Wenn der Vertreter nun direkt vor der Haustür stehe und sein Anliegen dem Verbraucher kundtue, sei auch hier das Entziehen aus dem Gespräch schwierig. Denn die meisten Verbraucher werden aus Gründen der Höflichkeit nicht einfach der Person die Tür vor der Nase zuknallen und so würden sie leicht in ein Gespräch verwickelt werden. Dies sei noch belästigender als die Telefonwerbung, wo der Verbraucher einfach auflegen könne, ohne der Person dabei ins Gesicht schauen zu müssen. Ein Entziehen durch das Anbringen eines Schildes sei auch nicht in jeder Mietwohnung möglich. Stattdessen könne das werbende Unternehmen vielmehr den Hausbesuch im Vornherein ankündigen. Dieser Eingriff in die Berufsfreiheit sei durch die Wahrung der Privatsphäre der Verbraucher vor der Belästigung und seinem Überrumpelungseffekt gerechtfertigt. Zudem könne man nicht mehr an den Entscheidungen des BGHs zur Thematik festhalten. Sie seien zu einem Zeitpunkt getroffen worden, als die Bevölkerung noch nicht wusste, wann ein Privatsphären Eingriff vorläge, was sich mittlerweile geändert habe.
KG Berlin: Eine unzumutbare Belästigung vom Vertreter sieht anders aus
Das KG Berlin korrigierte das Urteil des LG Berlin und widersprach dem stattgegebenen Unterlassungsanspruch. Die Voraussetzungen aus § 7 Abs. 1 S. 1 UWG seien nicht erfüllt. Ein Haustürbesuch hänge nicht unbedingt von einer vorherigen Ankündigung, die nicht zwangsläufig Vorteile für den Verbraucher, aber dafür immensen Aufwand von Seiten des werbenden Unternehmens bedeute, und der Einwilligung der Verbraucher ab. Das KG stimmt dem LG insoweit zwar zu, dass ein unangekündigter Haustürbesuch eine Belästigung nach § 7 Abs. 1 S. 1 UWG darstelle. Allerdings fehle es an der Unzumutbarkeit. Diese liege erst vor, wenn die Belästigung eine derartige Intensität erreiche, dass die meisten Verbraucher sie als unerträglich einstufen würden. Dies ist anhand einer Abwägung der entgegenstehenden Interessen zu ermitteln.
Auch europrechtliche Vorgaben, wie die UGP-Richtlinie (2005/29/EG), lassen nicht darauf schließen, dass ein unangekündigter Haustürbesuch einen Wettbewerbsverstoß darstelle.
Der BGH hat einen unangekündigten Haustürbesuch ausdrücklich als zulässig eingestuft, da die traditionell zugelassenen gewerblichen Tätigkeiten zu schützen seien und jeder Verbraucher frei entscheiden könne, wen er in sein Haus ließe. Der Senat kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass ein Haustürbesuch selbst ohne Ankündigung zulässig sei und die Interessen der Verbraucher nicht diejenigen der werbenden Unternehmen übersteige. Dass Vertreter sich unangemeldet Zugang verschaffen, sei zudem kein typisches Verhalten.
Nach mehreren Entscheidungen in der Vergangenheit, hatte der BGH vor nicht allzu langer Zeit erneut über die Thematik entschieden (BGH Urt. v. 18.06.2014 – I ZR 242/12) und dabei nicht den Anschein gegeben in Zukunft von dieser Rechtsprechung abzurücken.
Bezüglich der Anzahl an Haustürbesuchen ist derzeit keine Veränderung zu sehen aus der man folgern sollte, dass der unangekündigte Haustürbesuch einen Verstoß des § 7 Abs. 1 S. 1 UWG bedeute. Daher ist keine Rechtserstarrung zu erwarten, die den BGH dazu veranlassen würde sich ein weiteres Mal mit der Frage zu beschäftigen.
In Frankreich gelten besondere Regeln fürs Network Marketing: Unternehmen müssen Sozialabgaben für ihre Direktvertriebler und Berater zahlen.
Network Marketing hat sich in den letzten Jahren als erfolgreiches Geschäftsmodell für viele Unternehmen erwiesen. Lokal agierende Direktvertriebler sind ein effektiver Weg, Produkte auf den jeweiligen Markt zu bringen. Aber aufgepasst: in Frankreich gibt es für sie den sogenannten VDI Status.
Demnach muss das Unternehmen, für das er tätig ist, Sozialabgaben für ihn zahlen – auch wenn der Direktvertriebler selbstständig ein Unternehmen berät und eben nicht bei ihm angestellt ist. Das Unternehmen ist außerdem dafür zuständig, seinen Berater steuerlich richtig anzumelden. Tut es das nicht, gilt die Tätigkeit als Schwarzarbeit – und man haftet als Unternehmen dafür, auch wenn die Nicht- oder Falsch-Anmeldung nicht mit Absicht passiert ist…
So einen Fehler gilt es also unbedingt zu vermeiden. Deswegen klären wir hier die wichtigsten gesetzlichen Vorschriften. Die erfahrenen Anwälte von SBS Legal werfen einen juristisch versierten Blick auf Network Marketing bei unseren französischen Nachbarn: Wie muss man als Unternehmen seinen Berater sozialversichern? Und was gibt es steuerlich zu beachten?
Wer oder was ist ein VDI überhaupt?
VDI steht für „Vendeur à Domicile Indépendant“ und bedeutet so viel wie „unabhängiger Haus-zu-Haus-Verkäufer“. Gemeint ist damit ein Direktvertriebler oder Berater. Er erhält eine Provisionszahlung von einem Unternehmen und bewirbt dessen Produkt dann über das Internet oder in Gesprächen mit Bekannten, Nachbarn etc. Führt seine Tätigkeit dazu, dass die angeworbene Person das Produkt tatsächlich kauft, geht ein festgelegter Prozentsatz des Gewinns an ihn.
In Frankreich hat so ein Direktvertriebler seit 1933 einen eigenen rechtlichen Status inne – den besagten VDI-Status. Er gilt als unabhängiger Unternehmer, der über einen Geschäftsvertrag mit einem Unternehmen Aufträge annimmt. Diese Aufträge bestehen darin, die Produkte des Unternehmens zu verkaufen. Bei diesem Geschäftsvertrag handelt es sich ganz deutlich nicht um einen Arbeitsvertrag, das heißt der VDI ist kein Angestellter dieses Unternehmens – sondern in seiner Ausübung frei. Er ist auch weder im frz. Handelsregister (Registres du commerce et des sociétés – RCS) noch als Handelsvertreter registriert.
Weitere konkrete Regularien sind im „Code de Commerce“ (frz. Handelsgesetzbuch; Artikel L135 -1, L135-2, and L135-3) sowie im „Code de la sécurité sociale“ (frz. Sozialgesetzbuch; Artikel L311-3 20) festgeschrieben. So darf ein VDI nur drei Jahre lang tätig sein und dabei 20.568€ pro Jahr verdienen (Stand: 2020). Danach bzw. darüber verliert er seinen „besonderer-Selbstständiger-Status“ als VDI und muss stattdessen eine eigene Firma gründen. Oder die Firma, für die er arbeitet, setzt eine andere Grenze – z.B. ein monatliches Einkommen von maximal 1.000€ über ein halbes Jahr hinweg. Wenn er diese vertraglich festgehaltene Grenze überschreitet, muss er also schon vor den gesetzlichen 20.568€ im Jahr eine eigene Firma gründen, um weiterhin als Berater für das Unternehmen tätig sein zu können.
Sozialabgaben: Unternehmen zahlen zwei Drittel für ihren selbständigen Berater
Im französischen „régime général“ sind grundsätzlich Arbeitnehmer registriert, manchmal aber auch Selbständige – so wie der VDI. Er gibt dem Unternehmen, für das er arbeitet, seine Krankenversicherungskarte („Carte Vitale“), seine 15-stellige Sozialversicherungsnummer („numéro de sécurité sociale“) und seine SIRET-Nummer („Système d’identification du répertoire des établissements“; Unternehmenscode/Steuernummer) geben. Das Unternehmen benötigt diese Daten, da es nämlich die Sozialabgaben des VDIs anhand seiner Einnahmen selbst berechnen und bezahlen muss. Dabei kann es allerdings ein Drittel vom Berater zurückfordern – meist wird dieser Anteil automatisch abgezogen. Zwei Drittel der Sozialabgaben des VDIs muss das Unternehmen aber in jedem Fall selbst tragen. Es empfiehlt sich deswegen, die die Preise für ein Produkt in Frankeich um fünf bis sechs Prozent höher anzusetzen, um so die Kosten in Form von Sozialabgaben für den VDI wieder reinzuholen
Ein Drittel muss der VDI an das Unternehmen zurückzahlen – meist als Vorauszahlung:
Normalerweise erhebt ein Unternehmen, das einen selbstständigen Berater in Anspruch nimmt und also dessen Sozialabgaben zahlen muss, vier bis fünf Prozent auf seinen Rechnungsbetrag – als eine Art Vorauszahlung auf das eine Drittel der Sozialabgaben, das das Unternehmen vom Berater zurückfordern kann. Zum Quartalsende wird dann geguckt: Wie hoch sind die Sozialabgaben tatsächlich gewesen und wie viel ist durch die Vorauszahlung bereits gedeckt? Muss der Berater noch mehr an das Unternehmen zahlen oder kriegt er sogar wieder etwas zurück?
Ein anderer Weg ist es, die Sozialabgaben über Bonuszahlungen zu regeln – bzw. eben über keine Bonuszahlungen. Oder das Unternehmen zieht die entsprechende Summe einfach per Lastschrift oder Kreditkarte vom Konto seines Beraters ein.
Steuerliche Aspekte: Unternehmen müssen ihren Subunternehmer selbst anmelden!
Der VDI gilt in Frankreich steuerrechtlich als Kleinunternehmer („micro-entrepreneur“) und muss als solcher keine Umsatzsteuer zahlen – jedenfalls solange er unter einer gewissen jährlichen Obergrenze bleibt. Liegt sein Profit darüber oder arbeitet er schon über drei Jahre lang als Direktvertriebler, verliert er seinen VDI-Status und muss sich stattdessen als Beraterfirma im französischen Handels- und Gesellschaftsregister eintragen lassen („Registre du Commerce et des Sociétés“ – RCS). Solange er aber noch ein VDI ist, gilt der Direktvertriebler als Subunternehmer für die Firma, deren Produkte er bewirbt. Entsprechend ist diese Firma dafür zuständig, dass ihr Subunternehmer (der VDI) steuerlich korrekt angemeldet ist. Für mögliche Fehler und bspw. damit einhergehende Verspätungszuschläge haftet nämlich die Firma!
Seine Steuererklärung muss der VDI hingegen jedes Jahr selbst machen und dabei all seine Einkünfte, also seinen geschätzten Gewinn durch Verkäufe sowie weitere Boni, einbeziehen.
Ein VDI kann sich von der Mehrwertsteuer befreien lassen:
Der VDI muss seine Quellensteuererklärung unter nicht-kommerziellen Gewinnen („Benefits Non Commerciaux“ – BNC) einreichen. Daraus gehen nämlich seine jährlichen Einkünfte hervor, anhand derer berechnet wird, wie viel Einkommenssteuer der VDI zahlen muss. 34% seiner Provisionen gelten dabei als Betriebsausgaben – und sind demnach steuerfrei.
Zudem kann der VDI sich als Kleinunternehmer (micro-entrepreneur) von der Mehrwertsteuer (value added tax – VAT) auf seine Provisionen befreien lassen. Dafür muss er spätestens 15 Tage nach Unterschreiben des Geschäftsvertrags mit dem Unternehmen eine Erklärung in Form des POi-Formulars bei der URSSAF machen („Déclaration de début d’activité – Personne physique exerçant une activité non salariée indépendante“ bei der „Union de recouvrement des cotisations de la Sécurité sociale et d’allocations familiales“). Er erhält dann eine SIRET-Nummer (Steuernummer). Nur mit dieser SIRET-Nummer kann er dann auch wirklich von der Mehrwertsteuer ausgenommen werden.
Zur Gewerbesteuer: zahlen oder nicht zahlen?
Zwar muss der VDI keine Umsatzsteuer und auf seine Provisionen auch keine Mehrwertsteuer zahlen – allerdings eventuell eine Art Gewerbesteuer (Cotisation Foncière des Entreprises – CFE). Sie ergibt sich aus dem jährlichen Verdienst des VDIs. Sobald er mehr als 16,5% der jährlichen Obergrenze für Sozialabgaben verdient, muss er CFE zahlen. Legt man seine Arbeit als Direktvertriebler nieder, sollte man die französische Steuerbehörde darüber informieren, um die CFE nicht mehr zahlen zu müssen.